Teiluraufführung 5. Mai 2022. www.operchronos.com
«Die Sprecher-Subjekte können ohne Vorgeschichte und ohne private Prägung herbeizitiert werden. Entfremdetes Treffen. Reisen an alle Orte, die möglich sind, werden möglich. Und. Machtlose Menschen sind ohnehin überall der Öffentlichkeit ausgesetzt.»[1]
«Die letzte Form der Darstellung von Denken ist seine Überleitung in die Figur. Das Drama entsteht.»[2]
Für die Freiheit. Für Menschen, die ihre Freiheit auch unter widrigen Umständen bewahren. (Gudrun Orlet)
[1] Marlene Streeruwitz. Sein. Und Schein. Und Erscheinen. Dramatheorie. Reclam. München 2011. S. 544
[2] Walter Benjamin. Bericht vom Drama (1925). Reclam. München 2011. S. 415
Auszug Oper Chronos, Schlussszene 1. Akt:
Sie an Er gerichtet
«Ich bin weder Hedwig, noch bin ich am Leben. Vermutlich bist du auch nicht Martin oder doch ein Martin? Ich weiss nicht wer du bist und wovon du sprichst.»
sitzt, wendet sich etwas ab, mit sich selbst redend
«Vor den Soldaten hatte ich Angst
wie vorher viele andere auch
liessen auch jene die abgeschlagenen Köpfe liegen
und wieder andere stolperten daran in den Tod
über dem Wald brannte der Himmel
wenn ich nicht andauernd gestolpert wäre –
wie das Liegengelassene alle anderen auch nicht interessierte
und viele vor ihnen auch nicht
Angst essen Seele auf [1]»
Sie verlässt die Enge des Zimmers, tritt in den freien Raum der Bühne
Er
liegt währenddessen im Zimmer, singt gleichzeitig leise das Lied, danach «döst» er ein, er rettet sich in seine illusionäre, weltfremde Idee seiner Liebe, gleichzeitig ist er aber auch tief traurig;
Er ist fortan in abgerissene Soldatenuniform gekleidet;
diese Szene hat etwas Melancholisches
«Viele milde Sommerwinde strichen Wangen schöner Frauen.
Blumen blühten. starben in der Steppe. Kinder wurden Greise gingen.
ein Augenmerk. reichte dem Toten eine Hand
– himmelwärts mögen sich die Knochen wenden.»
Sie
«Mein Denken versagt bei jedem Versuch mich über das Jetzt zu erheben, als stünden meine Gedanken in einem gefrässigen Nebel,
als gäbe es kein Gestern und kein Morgen.
Nur einen Augenblick lang ist das Gedachte gewahr, im Moment des Erkennens ist es wieder gelöscht.
Ist dies das Jetzt von dem alle träumen?
Oder ist es das ewige Nichts?
Sie läuft
Kein Horizont ist auszumachen.
Wo bin ich, in welchem der Tode bin ich hier angekommen?»
Sie sitzt, mit sich selbst redend, ebenso traurig, aber auch resigniert
«Kein Horizont. Kein Glück.
Ich sehe keine Lichter, ich höre kein Lachen und kein Weinen.
keine menschlichen Regungen- »
Sie setzt sich müde auf einen Stein, sie reibt ihr Bein, denn ihr Bein schmerzt, Sie bewegt sich immer langsamer, Sie wirkt wie verzögert, verlangsamt, stolpert, fällt und schläft
erwacht schreiend;
der Sprecher tritt aus dem Hintergrund auf die Bühne, geht zu ihr;
Sie hatte einen Albtraum, ist sehr aufgeregt;
vertraut dem Sprecher den Traum an;
Sprecher könnte den ein oder anderen Satz sprechend wiederholen;
«Im Traum flehte mich eine Stimme an zu fliehen:
– Gehe hinfort aus diesen kriegsgefurchten Äckern,
weg vom Lebenssehnen der Armeen vieler Toter,
eile aus den Todesfurchen.- »
Er wird durch das Schreien der Sie aus seiner Verträumtheit gerissen, wartet, geht aus dem Zimmer und zu ihr, an Sie gewandt.
«Zunächst müssen wir über den Landweg fliehen, dann mit dem Schiff den Seeweg nehmen. Die Frontlinien ändern sich jeden Tag.
Hedwig, ich habe Grauenvolles gesehen und ich habe Schlimmes getan.
Hedwig, – ich liebe dich.»
Er will sie küssen, Sie weicht aus.
Sie denkt nach
«Ich verstehe nicht, wer du bist und was du von mir willst.
Diese Ruinen müssen wir verlassen, bevor ich meine Wahrnehmung gänzlich verliere und der Rest meiner Erinnerung erlischt.»
Sprecher
«Einer liess die Hand mit seinem Arm in einem Nachbarland, vielleicht zerfetzt und konserviert bei Minusgraden, der andere blieb vermisst, vor und nach der Null der ersten Stunde, auch sein Leben.»
[1] Titel eines Films von Rainer Werner Fassbinder. 1974