Libretto Chronos/Gudrun Orlet
«Auch Erdtonnen beruhigen kein Geistern
das Versprechen der Erlösung
– die Verlockung der Todesvögel –
das Menschen dem Tod auf die Zunge legen
spuckt er auf ein neues, werdendes Leben
im Staffellauf der Erlösung gibt es keinen Sieg»
(aus: «Chronos» Libretto)
Mit diesen Worten warnt der Sprecher «Sie» vor allzu erlösungssehnsüchtigen Taten wie die des Todes. Nach ihrem Lamento erkennt «Sie», dass ihr Sprung in den Tod keine Erlösung aus ihrem von Bedrängnissen geplagten Leben ist. Häufig ist der Tod das Ende der Oper und das Schicksal der Frau, um eine Befriedung oder Lösung herbeizuführen, in Chronos markiert der Todeswille den Beginn.
Nach ihrem Sprung in den Tod findet «Sie» sich weder im Tod noch in einem einordbaren Leben wieder. Anstelle einer erlösenden Befreiung wird sie nach und nach ihrer Erinnerung und mentaler Klarheit beraubt. Die Ursache der Geschehnisse bleibt unbekannt, unbenannt und ungelöst.
Alle Protagonisten beginnen aus einer für sie undurchsichtigen Situation zu erstehen. Ohnmacht und die Unmöglichkeit der Flucht sind im Text durch die Abwesenheit der Zeit und in Folge dessen der Aufhebung des Todes in Szene gesetzt. Eine Sisyphus Qual beginnt, die jeden Versuch, eine Lösung herbei zu zitieren, zum Scheitern verurteilt und jede Leidensfrage eine ist, die den Menschen auf sich selbst zurückwirft.
In Chronos ist die Kraft der Erlösung oder der Transzendierung durch den Tod verunmöglicht. Ein Ende durch und im Tod ist unmöglich. Ungelöstes durch Jenseitiges oder durch die Absolutheit eines Todes zu beenden, ist aufgehoben.
Das Aussetzen des Todes verkörpert Chronos. Er zeigt sich erbost über die Aneignung der Macht der Menschen über den Tod und das Leben; ihm folgt Thanatos, er verweigert seine sanfte Hand im Tod und die Sisyphus Qual nimmt seinen Lauf.