Libretto Chronos/Gudrun Orlet
Die Frage, ob es «Sie» und «Er» gelingt dem Sog des Zeitlosen zu widerstehen und den Wettlauf mit dem zunehmenden Machtanspruch aus vergangenen Zeiten zu gewinnen, verliert an Relevanz, da «Er» sich in der Verantwortung für die und seine Vergangenheit sieht.
«Sie» erkennt, dass sie einem Leben ausgesetzt sind, das vielmehr dem Imitieren, dem Wiederholen entspringt, als dass es das Leben selbst ist. Durch einen Traum und die Aufforderung zum Schrei (Schlingensief: Schreien, in das Schweigen hineinschreien) trifft «Sie» die Entscheidung der Flucht.
Der Sprecher, zunächst frei von Identitäts- und Bindungswünschen, weiss sich im Verlauf ein Ich anzueignen, verfällt zusehends der Versuchung sich im vorherrschenden Zeit- und Strukturvakuum Macht anzueignen und Herrschaft über «Sie» und «Er» auszuüben, um schlussendlich dem «Er», im Sterben die Identität zu rauben.
Im Finale kann «Sie» «Er» nicht überreden, um zumindest die Chance der Flucht zu ergreifen; für «Er» bedeutet die Liebe zur vermeintlichen Ehefrau «Sie» mittlerweile weniger als dem Sog der gefallenen Soldaten, denen er angehören zu glaubt, zu folgen.
Doch «Er» wird seine Vergangenheit nicht erreichen, denn der «Sprecher» hat sich mittlerweile für die Faszination der Macht entschieden und raubt im Sterben des «Er» dessen Identität und Leben.
Ein Finale im Triptychon. Wobei möglicherweise der Unausweichlichkeit der Machtbegehren ein Quäntchen mehr Gewicht überlassen wird; vielleicht aber auch in der Flucht der «Sie» die entscheidende Feder des Lebens innewohnt. «Er» ist verloren.